"Wer hätte gedacht, dass fünfzig Stunden reichen würden, um Menschen in Kannibalen zu verwandeln? Kolonisten, die den Wilden die europäischen Werte vermitteln sollten, hatten sich in Menschenfresser verwandelt." (S. 471)
Am Freitag, dem 15.11.2024, las der österreichische Schriftsteller Franzobel auf Einladung des Österreichischen Kulturforums aus seinem mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichneten Werk "Das Floß der Medusa" in der Bibliothek.
Das Werk orientiert sich streng an den historischen Tatsachen eines vermeidbaren Schiffsbuchs im Jahr 1816, in dessen Folge 150 Menschen auf einem Floß ausgesetzt über das Meer treiben, in Hoffnung auf Rettung. Es geschehen ungeheure Dinge auf diesem Floß, von dem zuletzt 15 Überlebende gerettet werden, und Franzobel lotet aus, wozu der Mensch fähig ist, wenn es um das nackte Überleben geht: Während die Wissenschaftler unter den Floßbewohnern noch Für und Wider diskutieren und die moralischen Abgründe ausloten bei der Überlegung, ob man vielleicht in dieser Notsituation Leichen essen dürfte, rammen die einfacheren Gemüter wie der Schiffskoch einfach das Messer in den Körper und verleiben sich das Fleisch des Toten ein. – Es ist harte Kost, mit der Franzobel den Leser konfrontiert, und das Buch wäre unerträglich, wäre die Katastrophe nicht so herrlich deftig und humorvoll beschrieben, die menschlichen Schwächen der Schiffsreisenden mit lustvoller Beobachtungsgabe seziert und würde das Grauen nicht an das Innerste eines jeden von uns rühren: Wozu ist der Mensch fähig, wenn er an den Rand seiner Existenz geschoben wird?
Unser herzlicher Dank gilt der Leiterin des Österreichischen Kulturforums Frau Gudrun Hardiman-Pollross für die Vermittlung der großartigen Gelegenheit, diesen Roman im österreichischen O-Ton hören zu dürfen und mit dem Schriftsteller in der intimen Atmosphäre der Bibliothek ins Gespräch zu kommen.